Mummenschanz, direkt aus dem Mittelalter in die Neuzeit.
Ein Text zum Buchthema Fasnacht, Masken, Rollenspiele.
4. Fliege
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Aus dem Mittelalter bestaunen wir unter anderem die eindrücklichen Kathedralen, die grossartigen Handschriften der Mönche, und wir staunen über die Erfindung des Buchdrucks, der das 'finstere' Mittelalter ganz wesentlich veränderte. Nicht nur die Kirchenherrschaft, der Minnesang und die edle Ordnung der Ritter haben dieses Zeitalter bestimmt, auch das karge Leben der meist unfreien Bauern und das beginnende städtische Miteinander von Handwerkern und Krämern formten das soziale und gesellschaftliche Zusammenleben.

Es war auch eine Ära der kollektiven Ängste und kulturellen Unruhen mit Hexenverbrennungen, und es gab den Pranger, wo alles Andersartige verfolgt und öffentlich bestraft wurde. Breughel und Bosch zeigen es uns in ihren Gemälden, und wir erkennen aber auch das Gesicht einer höchst lebendigen Volkskultur, die uns auch Spiele der Kinder und Erwachsenen übermitteln.

Widerspenstige Fröhlichkeit und aufständische List der sozial Schwachen wurden auch beschrieben. Denken wir zum Beispiel an Sebastian Brands Narrenschiff, wie auch an andere Literaten, die diese mittelalterliche Doppelgesichtigkeit beschrieben haben.

Die grossen gemeinschaftlichen Vergnügen, die Festlichkeiten und Umzüge der Herr-schenden, die Turniere und die kirchlichen Riten bildeten den Nährboden für den Mummenschanz. Im ländlich geprägten Frühmittelalter waren die öffentlichen Selbstdarstellungen des Klerus häufig Schauplatz einer spielerisch gebrochenen Kritik an den kirchlichen Hierarchien.

In den städtischen Kathedralen waren es die Chorknaben und Kanoniker, die unteren Kirchendiener also, die einen Mummenschanz erfanden und durchführten. Sie stellten das hierarchische 'Unten' und 'Oben' zu den alljährlichen 'Winterfesten' theatralisch und fasnächtlich auf den Kopf. Oft wurde sogar ein eigener Bischof unter den Chorknaben gewählt und für die kurzen Tage der Festivitäten eingesetzt, mit Wohlwollen des Bischofs, und nach den ausgelassenen, überbordenden Spielen konnte er die ordnende Macht wieder in seine Hand nehmen und so wieder aus dem Chaos zur Ordnung führen.

Oft tauchten auch predigende Pseudogeistliche auf, die das Volk als Sittenapostel und Ablasskrämer mehr unterhielten, als dass sie es zur guten Lebensweise anleiteten. Geoffrey Chaucer beschreibt dies aufs Trefflichste in seinen Canterbury Tales.

Mit dem Entstehen von Stadtkulturen veränderte sich der Charakter der öffentlichen und kirchlichen Feste. Obwohl der beginnende städtische Karneval noch religiöse Elemente enthielt, übten die neugegründeten 'bürgerlichen' Narrengesellschaften aber hauptsächlich Kritik an der weltlichen Obrigkeit.

Diese fasnächtlichen Veranstaltungen nördlich der Alpen, mit gestalteten Umzügen boten Zerstreuung und Vorwand für allerhand Spiele, vom feierlichen Ernst bis zum Trivialen. Die Strassentheater mit agierenden Gruppen, Gesten und Scheinhandlungen, Reiteraufzügen und Allegorien, Mimen und Mummenschanz, sind Elemente, die alte Brauchtümer aufnehmen, die sich nach und nach durch Ergänzungen und Interventionen, durch den Einsatz von Schlitten und Festwagen, durch immer zahlreichere Stationen zum bewegten Theater entwickelten. Das szenische Spiel, zum Teil auf Plätzen und an Strassenkreuzungen aufgeführt, umfasste religiöse, politische oder soziale Kundgebungen, und die schöpferische Energie, die ehemals aus den Kreisen der Kirche und den Gläubigen kam, geht beinahe reibungslos auf die Mummenschanz treibenden Laiengesellschaften über.

Auch die Handwerker-Innungen und Zünfte nutzten die fasnächtlichen Feste zur Selbstdarstellung mit einheitlicher Farbgebung ihrer Gewänder und stellten ihre Berufe volkfloristisch dar.

In den hochentwickelten oberitalienischen Städten der Renaissance belustigte sich das Volk dann aber nicht mehr zu Lasten der Privilegierten. Die Volksfeste und der Karneval dienten nun der Repräsentation von Macht und Reichtum. Die verkehrte Welt ausgelassener Geselligkeit, in der sich für kurze Zeit die Schwachen stark und die Armen reich erleben durften, wurde langsam zu einer ästhetisch nicht minder faszinierenden Veranstaltung der 'Mächtigen'. Denken wir an die Medicis, die ein reines Machttheater inszenierten.

So wurde langsam aus dem bissig-heiteren, parodistischen Mummenschanz eine in ihren Folgen genau kalkulierte theatralische Inszenierung frühzeitlicher Staatsmacht.

Wenn wir den revolutionären Grundgedanken des fasnächtlichen Treibens an der heutigen Fasnacht in Basel suchen, müssen wir leider feststellen, dass durch das Verteilen von Comité-Subventionen an die Cliquen, der Fasnacht ein 'Schalldämpfer' verpasst wird. Die Artigen werden belohnt und die Unartigen bekommen finanzielle Abzüge. So erinnere ich mich als Laternenmaler noch sehr gut an die polizeilich verordnete, sittliche Abnahme der leuchtenden 'Transparente'.

Die Kathedralen waren bekanntlich mit ihren grossen Kirchenschiffen nicht nur Orte von Gottes Wort, nein! es fanden unter dem grossen Dach zwischen den mächtigen Säulen auch Prozessionen und Versammlungen statt. Dem meist undisziplinierten und sehr schwatzhaften Volk musste auch bei den Predigten etwas geboten werden. Das Publikum sei meist sehr laut und unruhig gewesen, lesen wir in vielen Überlieferungen. Man schwatzte und scherzte, versuchte zu imponieren und auf sich aufmerksam zu machen, genau so wie auf jedem Jahrmarkt.