Mummenschanz,
direkt aus dem Mittelalter in die Neuzeit.
Ein Text zum Buchthema Fasnacht, Masken, Rollenspiele.
Aus
dem Mittelalter bestaunen wir unter anderem die
eindrücklichen Kathedralen, die grossartigen Handschriften
der Mönche, und wir staunen über die Erfindung des
Buchdrucks, der das 'finstere' Mittelalter ganz wesentlich
veränderte. Nicht nur die Kirchenherrschaft, der Minnesang
und die edle Ordnung der Ritter haben dieses Zeitalter
bestimmt, auch das karge Leben der meist unfreien Bauern
und das beginnende städtische Miteinander von Handwerkern
und Krämern formten das soziale und gesellschaftliche
Zusammenleben.
Es war auch eine Ära der kollektiven Ängste und kulturellen
Unruhen mit Hexenverbrennungen, und es gab den Pranger, wo
alles Andersartige verfolgt und öffentlich bestraft wurde.
Breughel und Bosch zeigen es uns in ihren Gemälden, und wir
erkennen aber auch das Gesicht einer höchst lebendigen
Volkskultur, die uns auch Spiele der Kinder und Erwachsenen
übermitteln.
Widerspenstige Fröhlichkeit und aufständische List der
sozial Schwachen wurden auch beschrieben. Denken wir zum
Beispiel an Sebastian Brands Narrenschiff, wie auch an
andere Literaten, die diese mittelalterliche
Doppelgesichtigkeit beschrieben haben.
Die grossen gemeinschaftlichen Vergnügen, die
Festlichkeiten und Umzüge der Herr-schenden, die Turniere
und die kirchlichen Riten bildeten den Nährboden für den
Mummenschanz. Im ländlich geprägten Frühmittelalter waren
die öffentlichen Selbstdarstellungen des Klerus häufig
Schauplatz einer spielerisch gebrochenen Kritik an den
kirchlichen Hierarchien.
In den städtischen Kathedralen waren es die Chorknaben und
Kanoniker, die unteren Kirchendiener also, die einen
Mummenschanz erfanden und durchführten. Sie stellten das
hierarchische 'Unten' und 'Oben' zu den alljährlichen
'Winterfesten' theatralisch und fasnächtlich auf den Kopf.
Oft wurde sogar ein eigener Bischof unter den Chorknaben
gewählt und für die kurzen Tage der Festivitäten
eingesetzt, mit Wohlwollen des Bischofs, und nach den
ausgelassenen, überbordenden Spielen konnte er die ordnende
Macht wieder in seine Hand nehmen und so wieder aus dem
Chaos zur Ordnung führen.
Oft tauchten auch predigende Pseudogeistliche auf, die das
Volk als Sittenapostel und Ablasskrämer mehr unterhielten,
als dass sie es zur guten Lebensweise anleiteten. Geoffrey
Chaucer beschreibt dies aufs Trefflichste in seinen
Canterbury Tales.
Mit dem Entstehen von Stadtkulturen veränderte sich der
Charakter der öffentlichen und kirchlichen Feste. Obwohl
der beginnende städtische Karneval noch religiöse Elemente
enthielt, übten die neugegründeten 'bürgerlichen'
Narrengesellschaften aber hauptsächlich Kritik an der
weltlichen Obrigkeit.
Diese fasnächtlichen Veranstaltungen nördlich der Alpen,
mit gestalteten Umzügen boten Zerstreuung und Vorwand für
allerhand Spiele, vom feierlichen Ernst bis zum Trivialen.
Die Strassentheater mit agierenden Gruppen, Gesten und
Scheinhandlungen, Reiteraufzügen und Allegorien, Mimen und
Mummenschanz, sind Elemente, die alte Brauchtümer
aufnehmen, die sich nach und nach durch Ergänzungen und
Interventionen, durch den Einsatz von Schlitten und
Festwagen, durch immer zahlreichere Stationen zum bewegten
Theater entwickelten. Das szenische Spiel, zum Teil auf
Plätzen und an Strassenkreuzungen aufgeführt, umfasste
religiöse, politische oder soziale Kundgebungen, und die
schöpferische Energie, die ehemals aus den Kreisen der
Kirche und den Gläubigen kam, geht beinahe reibungslos auf
die Mummenschanz treibenden Laiengesellschaften über.
Auch die Handwerker-Innungen und Zünfte nutzten die
fasnächtlichen Feste zur Selbstdarstellung mit
einheitlicher Farbgebung ihrer Gewänder und stellten ihre
Berufe volkfloristisch dar.
In den hochentwickelten oberitalienischen Städten der
Renaissance belustigte sich das Volk dann aber nicht mehr
zu Lasten der Privilegierten. Die Volksfeste und der
Karneval dienten nun der Repräsentation von Macht und
Reichtum. Die verkehrte Welt ausgelassener Geselligkeit, in
der sich für kurze Zeit die Schwachen stark und die Armen
reich erleben durften, wurde langsam zu einer ästhetisch
nicht minder faszinierenden Veranstaltung der 'Mächtigen'.
Denken wir an die Medicis, die ein reines Machttheater
inszenierten.
So wurde langsam aus dem bissig-heiteren, parodistischen
Mummenschanz eine in ihren Folgen genau kalkulierte
theatralische Inszenierung frühzeitlicher Staatsmacht.
Wenn wir den revolutionären Grundgedanken des
fasnächtlichen Treibens an der heutigen Fasnacht in Basel
suchen, müssen wir leider feststellen, dass durch das
Verteilen von Comité-Subventionen an die Cliquen, der
Fasnacht ein 'Schalldämpfer' verpasst wird. Die Artigen
werden belohnt und die Unartigen bekommen finanzielle
Abzüge. So erinnere ich mich als Laternenmaler noch sehr
gut an die polizeilich verordnete, sittliche Abnahme der
leuchtenden 'Transparente'.
Die Kathedralen waren bekanntlich mit ihren grossen
Kirchenschiffen nicht nur Orte von Gottes Wort, nein! es
fanden unter dem grossen Dach zwischen den mächtigen Säulen
auch Prozessionen und Versammlungen statt. Dem meist
undisziplinierten und sehr schwatzhaften Volk musste auch
bei den Predigten etwas geboten werden. Das Publikum sei
meist sehr laut und unruhig gewesen, lesen wir in vielen
Überlieferungen. Man schwatzte und scherzte, versuchte zu
imponieren und auf sich aufmerksam zu machen, genau so wie
auf jedem Jahrmarkt.